Hanspeter Renggli, Mittelland Zeitung (02.10.2006)
In Harry Kupfers Inszenierung der Weill-Oper «Mahagonny» wirken eine fein studierte Choreografie und viel Kraftaufwand der Stimmen.
Einen musikalischen Bilderbogen hat Kurt Weill, der Komponist von «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny», seine dreiaktige Oper genannt. Der Textautor Bertold Brecht erzählt in der «Mahagonny»-Parabel den spiessbürgerlichen Traum von Freiheit und Glück, der schnell durch Korruption und Aufruhr hintertrieben wird. Weill hatte Ansprüche an die Sänger gestellt, die kaum mehr von singenden Schauspielern zu bewältigen waren. Dieser Umstand ist bis heute ein Dilemma geblieben. Seit den Sechzigerjahren hat sich die Aufführungspraxis mit Opernsängern durchgesetzt.
Die deutsche Sprache scheint nun aber gerade in der Berner Einstudierung ein Handicap zu sein. Die Schwierigkeiten, dem Sprechgesang die rechten Akzente zu verleihen, werden noch gesteigert, wenn aus dem Orchestergraben grosse Klangmassen aufsteigen. So vermochte sich Karen Armstrong, die spielerisch durchwegs mit Intensität beeindruckte, nur mit grosser Anstrengung gegen den massiven Bläserklang durchzusetzen. Erstaunlich auch, dass Hendrik Vonk als Jim nicht das Singen, sondern das akzentuierte Sprechen sichtlich Mühe bereitete. Brechts und Weills Sprache, auch insbesondere die gesungene, geht nun mal von den Gegebenheiten des Deutschen aus. So wäre jedenfalls Arkadius Burski als Bill und Pier Dalàs als Joe etwas Sprechtechnik ans Herz zu legen. Aus dieser Perspektive ist etwa der Umstand, dass Uwe Schönbeck als Sprecher fungierte, als Besetzungsluxus zu bezeichnen. Selbst Richard Ackermann, dessen Dreieinigkeitsmoses in jeder Hinsicht «gute Figur» machte, hatte auch mit seiner grossen Stimme mitunter viel Kraftaufwand einzulegen.
Dass eine zwischen Begleitung und Gesang ausgewogene Interpretation möglich war, demonstrierte vor allem Noëmi Nadelmann im Song «Wie man sich bettet, so liegt man». Die Partie der Jenny scheint Nadelmann auf den Leib geschnitten. Es ist denn auch eine besondere Qualität des Regisseurs Harry Kupfer, die besonderen Vorzüge der Sängerinnen und Sänger zu erkennen, nicht bloss Rollen umzusetzen. Hans Schavernoch hat dem Regisseur eine ebenso spektakuläre wie grell-bunte Bühne vorgegeben, in dessen Zentrum der abgestürzte Hubschrauber vor grossartiger Schweizer Berg- und Gletscherkulisse als einzigartiger Blickfang fungiert. Auf, in und um diesem Ungetüm mit seinen weitausladenden Rotorblättern choreografiert Kupfer die Menschen. Mit gewohnt hohem Körpereinsatz hält er die Gruppen ständig in Bewegung.
Weills Musik ist vielfältig und bunt. Das Berner Symphonie-Orchester stellt sich brillant auf die ständig wechselnden stilistischen Charaktere ein. Gespannt war man natürlich auf das Berner Debüt von Daniel Inbal, der in dieser Saison als erster Kapellmeister wirkt. Zu oft aber entglitt Inbal die Klangkontrolle, dominierten Lautstärke und Getöse aus dem Graben. Erst allmählich kam Schwung ins Spiel.
Kupfer hat Brechts und Weills «Mahagonny»-Parabel nicht neu gedeutet. Aber er hat gemeinsam mit Schavernochs vielen optischen Anspielungen an die schweizerische wie internationale Aktualität den anarchisch-gesellschaftskritischen Impuls des Werks in eine Gegenwartsgesellschaft gerückt.