Eine farbliche Erlösung

Ljubiša Tošic, Der Standard (26.06.2007)

Szenen aus Goethes Faust, 24.06.2007, Zürich

Eine farbliche Erlösung: "Szenen aus Goethes Faust" am Züricher Opernhaus.
Die Kooperation von Aktionskünstler Hermann Nitsch und Dirigent Franz Welser-Möst ergab eine musikalisch eher einfärbige, szenisch hingegen um so buntere Simulation von Ritualen

Mephisto weiß, warum – aber es scheinen die Wiener Staatsoper und ihr Züricher Pendant auf seltsame Art und Weise, als wären sie kommunizierende Gefäße, miteinander verbunden. Regelmäßig wird etwa dem Wiener Repertoiresystem-Regenten das Zürcher Modell der sehr vielen Premieren vorgehalten.
Und als es an jenem Abend vor der Entscheidung, wer Opernchef werden sollte, in Wien turbulent-spekulativ zuging, sang Kanzler-Kandidat Neil Shicoff just am Züricher Haus, dessen Oberster, Alexander Pereira, wiederum ebenfalls für den Wiener Job in Frage gekommen war – bis er das philharmonische Probensystem öffentlich als reformbedürftig brandmarkte.

Zudem: Es ist der neue Wiener Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst zwar in ähnlicher Funktion in Zürich tätig. Doch wird er – vor allem auch wegen Wien – vorzeitig seinen Vertrag lösen. Und das premierenfrische letzte Zeichen der Verbundenheit: Es schaffte Zürich am Sonntag jene Enttäuschung aus der Welt, die Aktionskünstler Hermann Nitsch durch die Wiener Staatsoper erlitten hatte, als man ihn dann doch nicht den Parsifal inszenieren lassen wollte. Als Trostpflaster bot Zürich Schumanns Faust-Szenen an – auf die sich Nitsch allerdings nur ob der Überredungskünste seiner Frau einließ. So Nitsch.

Von Erregung aber in Zürich keine Spur. Im dritten Bild (Szene im Dom) wird zwar ein Schwein ausgeweidet, und die Aktion, die Faust samt Assistenten mit sich steigernder Expressivität durchführt, wird auch filmisch imposant gedoppelt. Allein, es ist ein Schweinsimitat, dass da zur Bearbeitung hängt. Die Theaterplastik hat ganze Detailarbeit geleistet, hat gar Gedärme ersonnen, sie auch mit geruchsfreien Inhalten gefüllt. Und auch Blut fließt zwar in Strömen, aber es ist natürlich roter Theatersaft. Das alles auch nur eine Szene lang. Ansonsten hat Nitsch (ihm stand Andreas Zimmermann als Co-Regisseur zur Seite) diesen leeren, asketischen Raum mit Projektionen belebt und dem Farbspiel überantwortet. Weingärten, Bäuerinnen, Galaxien und Gebirge werden von Farben übermalt, die wie ein von unten nach oben wandernder Regenbogen verschiedene Konstellationen der Buntheit erzeugen.

Das bringt eine gewisse Bewegung – das ist es aber auch schon. Das eher statische Werk Schumanns, das auf das Finale von Faust II hin angelegt ist, wird eher als szenisches Oratorium aufgefasst, in dem den Personen wenig psychologische Ausformung zuteil wird. Es regiert das Ritual, es dominieren szenische Kreisbewegungen, die gleichsam spiralförmig in Richtung Erlösung führen.

Eher märchenhaft

So wähnt man sich in einer Mischung aus Sarastros Zauberflöte-Welt und Parsifal, gleichsam schlafwandelnd vollführen die Protagonisten in ihren märchenhaft anmutenden kuttenartigen Gewändern ihre Aktionen. Es geht um Wandel, um Metamorphose – um den Pfad zur Erlösung. Und das Kreuz, an das Faust genagelt wird, auf dem er gen Himmel fliegt, von diesem wieder herabschwebt, um zweimal gewaschen zu werden, es soll mit Leid nichts zu tun haben. Eher mit hoffnungsvollem Neubeginn.

Dirigent Franz Welser-Möst leistet zu dem Ganzen ekstasefreie solide Arbeit, alles klingt transparent und klar, ist mehr Beethoven zugeneigt als der überschwänglichen Romantik. Was auch damit zusammenhängen mag, dass das Orchester ein bisschen nach Dienst nach Vorschrift klingt, klanglich blass bleibt. Da ist kein Aufbäumen, kein musiktheatraler Druck des Instrumentalen. Alles plätschert dahin, kann mit der Buntheit der Bilder musikalisch nicht mithalten. Immerhin: Das Ensemble um den profunden Simon Keenlyside (als Faust), der alle Klangfarben zwischen strahlend, lyrisch und todesnah fahl (am Schluss nur verließ ihn die Kraft etwas) einzubringen weiß, ist gut disponiert. Malin Hartelius (als Gretchen) und Günther Groissböck arbeiten solide, etwas auffälliger Eva Liebau (als Sorge) und sehr wohltönend Roberto Sacca (als Ariel und Pater Ecstaticus).

Das Züricher Publikum war zufrieden, besonders mit Keenlyside – und eigentlich auch mit Nitsch. Die kleinen Unmutsäußerungen gingen dann doch in den Komplimenten unter.