Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (28.11.2006)
Emmanuel Chabriers Opéra bouffe «L'Etoile» erstmals im Zürcher Opernhaus
Am 28. November 1877 ist Emmanuel Chabriers Opéra bouffe «L'Etoile» in Paris uraufgeführt worden, jetzt, fast auf den Tag genau 129 Jahre später, hat sie ihre Zürcher Erstaufführung erlebt. Einmal mehr kann sich das Opernhaus also einer veritablen Ausgrabung rühmen. Zu verdanken ist diese dem Dirigenten John Eliot Gardiner, der «L'Etoile» schon 1984 an der Opéra de Lyon neu zum Erstrahlen gebracht hat, und dem Regisseur David Pountney. Dass die beiden Wiederentdecker Briten sind, ist vielleicht kein Zufall, denn die spezifische Art von Komik, der sich Chabrier verschrieben hat, scheint jenem «britischen Humor» verwandt, der mit dem Absurden, Grotesken, auch Schauerlichen spielt. Und solches bietet «L'Etoile» in der Tat.
Schicksalsgemeinschaft
König Ouf I. pflegt sein Volk jedes Jahr an seinem Geburtstag mit einer öffentlichen Hinrichtung zu ergötzen. Doch diesmal ist weit und breit kein Opfer in Sicht - bis schliesslich der Hausierer Lazuli auftaucht. Dieser, frisch verliebt in eine unbekannte Schöne (die Prinzessin Laoula), gerät in Zorn, als er erfährt, dass diese verheiratet ist (ein Täuschungsmanöver, wie sich zeigen wird), und ohrfeigt den König - Majestätsbeleidigung, Todesurteil. Der pompöse Thronsessel mit dem scharfen Messer, das für die Pfählung aus dem Polster hochfährt, steht schon bereit. Da erscheint gerade noch rechtzeitig der Hofastrologe Siroco. Er hat die Sterne befragt und eröffnet dem König, dass sein Schicksal untrennbar mit dem Lazulis verbunden sei. 24 Stunden nach dessen Tod werde auch Ouf sterben. Dem Astrologen kann das nicht gleichgültig sein, denn gemäss königlichem Testament hat er selbst sein Leben eine Viertelstunde später auszuhauchen.
So wird aus dem Todeskandidaten Lazuli der gehätschelte, umsorgte, mit Frauen und Luxus verwöhnte Günstling des Königs. Umso grösser ist das Entsetzen, als man ihn für tot halten muss, infolge eines Missverständnisses auf der Flucht mit Laoula erschossen und im See ertrunken. Fast einen Akt lang dauern nun die Sterbensvorbereitungen Oufs und Sirocos, bis Lazuli endlich durchnässt und niesend, doch unversehrt zurückkehrt und der König dem Paar seinen Segen gibt.
Pountney verpasst der Hauptstadt des Königreichs der 36 Könige, in der «L'Etoile» spielt, ein konkretes Gesicht, das der Boom-Metropole Dubai, genauer eines Palast-Innenhofs mit Galerie und Treppe, der sich auch zum Schauraum für Luxusautomobile (der Sponsor mit dem Stern als Markenzeichen setzt sich hier prominent in Szene), zum Laufsteg leicht geschürzter Tänzerinnen sowie zur Shopping-Mall umfunktionieren lässt (Bühne Johan Engels, Kostüme Marie- Jeanne Lecca).
Pountney versteht es, die räumlichen Möglichkeiten zu nutzen, seine Phantasie kennt auch diesmal kaum Grenzen. Doch er bewegt sich auf gefährlichem Grund. Zum einen wirkt die Szenerie zu massiv, zu realistisch für das duftig leichte Stück, dessen absurder Handlung surreale oder abstrakte Bilder wohl besser entsprächen. Zum andern hat die «Arabisierung» geschmackliche Entgleisungen zur Folge, die einem das Lachen austreiben: Zuerst, als mit einer Totenbahre, wie man sie täglich in den Fernseh-Nachrichten zu sehen bekommt, Scherz getrieben wird, dann beim Spiel mit einer Handgranate. Temporeiche Bewegung und Choreographie (Beate Vollack) in Ehren: In diesen zwei Szenen werden sie missbräuchlich eingesetzt.
Musikalischer Humor
Wenig Wirkung zeitigt der Sprachwitz des Librettos, obwohl das französischsprachige Sängerensemble, das Alexander Pereira für diese Produktion engagiert hat, in den Dialogteilen eine authentische Sprechkultur pflegt (Gabriel Bermúdez als Vertreter des Hausensembles weiss sich daneben als überrumpelter Gesandter bestens zu behaupten). Und die Übertitelung fällt diesmal allzu fragmentarisch aus. Ungetrübten Genuss bereitetet indessen Chabriers musikalischer Witz. Gardiner kostet ihn, ungeachtet einiger Koordinationsprobleme, mit dem Orchester nach Noten aus, stellt die instrumentalen Finessen der Partitur ins hellste Licht, spitzt die melodischen und rhythmischen Pointen genüsslich zu - ein Extravergnügen das den Belcanto-Stil parodierende Chartreuse-Duett -, wahrt aber in allem auch den zarten Charme und die Gefühlswärme, die Chabriers Komödiantik von der satirisch-gesellschaftskritischen seines Vorläufers Offenbach unterscheidet.
Auf diesen Stil verstehen sich Jean-Luc Viala als facettenreich schillernder Ouf, Jean-Philippe Lafont als bombastisch weinerlicher Siroco, Anne-Catherine Gillet als brillante Prinzessin Laoula und Nora Sourouzian als attraktive Aloès glänzend. Die junge Schweizer Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis gewinnt sich in der Hosenrolle des Lazuli nicht nur die Sympathien des königlichen Hofes, sondern auch die des Publikums, verfügt jedoch noch nicht ganz über das erforderliche Stimmvolumen. - Ob diese Zürcher Aufführung dazu beitragen kann, Chabriers «Etoile» doch noch einen festen Platz am Operettenfirmament zu verschaffen? An der Premiere leerten sich die schon nach der Pause merklich gelichteten Reihen sehr rasch.