Fritz Schaub, Neue Luzerner Zeitung (02.10.2006)
«Gianni Schicchi» und «Trouble in Tahiti» im Luzerner Theater
Am Ende von Giacomo Puccinis «Gianni Schicchi» umarmen sich Rinuccio und Lauretta zärtlich. So sieht man es meistens in den Inszenierungen der genialen Puccini-Einakters. Schliesslich hat das Gaunerstück mit dem gefälschten Testament bewirkt, dass das Paar, das sich liebt, auch zusammenkommt. Anders in Luzern: Als Gianni Schicchi sich umwendet und wegen seiner Gaunerei mildernde Umstände fordert, sind Rinuccio und Lauretta verschwunden, sitzt bereits das Paar aus Bernsteins «Trouble in Tahiti» da. Schon hört man die ersten Klänge des Trios, das nach der Pause den Bernstein-Einakter einleitet.
Kein Happy End
Kein Happy End also. Schon das zeigt, dass die Regisseurin Sandra Leupold das Libretto genau gelesen hat. Denn nicht, weil seine Fälschung das Paar zusammengeführt hat, wie es in manchen ungenauen deutschen Übersetzungen steht, bittet Schicchi um Nachsicht, sondern weil er hoffentlich das Publikum unterhalten hat. Das junge Liebespaar verlässt Florenz und geht einer ungewissen Zukunft entgegen. Es wird sich genauso wie Gianni Schicchi der Rache der um ihr Erbe geprellten Familie ausgesetzt sehen. Das Liebespaar wird wie vor ihm die Verwandten vom mächtigen Schneeband verschluckt, das sich von der Vorderbühne nach hinten sozusagen bis ins Unendliche erstreckt (eine Meisterleistung von Andrea Eisensee, der die ganze Ausstattung besorgte).
Dennoch verschwindet es nicht ganz. Nach der Pause taucht es am Rande wieder auf, virtuell auch auf der Leinwand, von der schon während der Puccini-Aufführung immer wieder Sequenzen eingeblendet wurden. Diese Filmsequenzen sind ein zusätzliches Mittel, um die enge Verknüpfung zwischen den Geschichten der beiden Einakter, zwischen der Familienkrise im Florenz von 1299 und der Ehekrise des Paars aus einer amerikanischen Vorstadt anzuzeigen. Als unbedingt notwendig empfindet man dies nicht. Allein schon das Schneeband, das den Puccini- mit dem Bernstein-Einakter verbindet, sorgt für eine starke Klammer. Einziges Requisit ist neben dem Sitzpolster ein Teppich, der bei Puccini als Bett dient.
Menschen in der Kälte ausgesetzt
Obwohl in die noblen Renaissance-Gewänder gekleidet, sind die Erben des verstorbenen Buoso Donati schutzlos, gleichsam nackt in dieser Kälte ausgeliefert. Ihre Gier, ihre Heuchelei und ihr Zorn kommen in schockierender Gewalt zum Ausdruck. Dies ist auch das Verdienst der hervorragenden Spielführung, welche jede Bewegung der Sänger genau auf den Duktus von Puccinis Musik abstimmt. Bei allem Realismus bleibt immer deutlich, dass es sich um ein Spiel handelt, um eine, wenn auch schwarze Komödie. Sonst wäre der Gag, dass sich der Notar bei der Entgegennahme des falschen Testaments ausgerechnet auf die zugedeckte Leiche des echten Testamentschreibers (!) setzt, nicht möglich. Gerne sind wir am Schluss bereit, dem schlauen Bauern zu verzeihen, der uns so grosses Vergnügen bereitet hat. Dies umso mehr, als er in Gregor Dalal eine überragende Verkörperung findet. Ein relativ junger Schicchi mit intaktem Bariton, den voll aufzudrehen er sich nicht scheut, den er aber auch immer wieder zu näselndem Gestammel verstellt.
Vor allem ist es eine glänzende Ensembleleistung, welche die Mitglieder des Opernensembles bieten. Simone Stock (Lauretta) und Martin Nyvall (Rinuccio) bilden neben den geldgierigen Verwandten, von denen Tanja Ariane Baumgartners als herrlich keifende Zita noch herausragt, ein erfrischend jugendliches Paar. Dass man die Partitur wie neu hört, ist nicht zuletzt das Verdienst des Luzerner Sinfonieorchesters, das unter der Leitung von John Axelrod die Impulse von der Bühne voll aufnimmt und selbst im irrwitzigsten Tempo und dem sich Schlag auf Schlag folgenden Parlando rhythmisch exakt bleibt.
Amerikanische Ehekrise
Mit dem gleichen Impetus geht Axelrod an die von Jazz und Folksong inspirierte Partitur Bernsteins heran, die er bei den Streichern in grösserer Besetzung musizieren lässt. Trotzdem erreicht die Aufführung nicht die gleich starke Wirkung, kann sie nicht, weil das Werk doch mehr eine Folge von Sketches ist als eine durchkomponierte amerikanische Oper. Dabei verkörpern Howard Quilla Croft (Sam) und Caroline Vitale (Dinah) in den Kleidern der 50er Jahre das Paar, das sich auseinander gelebt hat, sehr glaubhaft. Madelaine Wibom, Matthias Aeberhard und Frederik Baldus singen hinter der Bühne, durch einen Monitor mit dem Dirigenten verbunden, wie vorgeschrieben mit Mikrofon das Trio, das die Klischees vom Glück des American Way of Life vorgaukelt. Auf der Bühne wird es durch mehr als drei Figuren verkörpert, was eher zu einer Verzettelung führt, umso mehr, als man zwischendurch ja auch die deutschen Übertitel lesen und die Filmsequenzen anschauen sollte.