Eine Oper verplappert sich

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (27.10.2014)

Don Pasquale, 24.10.2014, Basel

Klamauk und Arien: Massimo Rocchi inszeniert «Don Pasquale» am Theater Basel

Der italienische Komponist Gaëtano Donizetti hat schon in der Besetzungsliste seiner Oper «Don Pasquale» ziemlich genau angegeben, wie er sich die Charaktere seines 1843 uraufgeführten Dramma buffo vorstellt. Die Titelfigur ist «ein alter Junggeselle, altmodisch, geizig, leichtgläubig, eigensinnig, im Grunde ein guter Kerl». Durch Vermittlung des durchtriebenen Arztes Malatesta («ein findiger Kopf, witzig, unternehmungslustig») heiratet der alte Hagestolz die junge Witwe Norina («sprunghaftes Naturell, unfähig, Widerspruch zu ertragen, aber aufrichtig und gefühlvoll»), die bereits mit dem «jungen Schwärmer» Ernesto ihr Liebesglück gefunden hat. Es fehlt dem jungen Liebespaar nur am nötigen Kleingeld, und dieses fällt ihnen durch die schlau programmierte Trennung der ungleichen Ehepartner gleichsam in den Schoss.

Was soll da noch ein Regisseur? Überflüssige Frage, wenn dieser Massimo Rocchi heisst, von Beruf Komiker ist und nach Joseph Haydns «Lo Speziale» zum zweiten Mal Gelegenheit erhält, am Theater Basel seiner Opernleidenschaft zu frönen (damals auf der Kleinen, jetzt auf der Grossen Bühne). Ihm fällt immer etwas ein. Erst verpflanzt er die Handlung von Rom in die Schweizer Alpenwelt, mitsamt Chalet und Berglandschaft. Schweizer Armeewolldecke und Stahlhelm – alles ist eingeschweizert, selbst in den Text hat Rocchi ein von Donizetti nicht vorgesehenes «Svizzera» eingeschmuggelt. Da ist ihm ein Lacherfolg sicher. Und statt in einer nicht näher definierten Vergangenheit spielt die Handlung in unserer Gegenwart. Ein Schreiben trifft per Velokurier ein, und der falsche Anwalt setzt den Ehevertrag auf einem iPad auf. Das SMS per Handy hat den handgeschriebenen Liebesbrief abgelöst.

Dirigent im Bademantel

Don Pasquale hat es zu einem gewissen Wohlstand gebracht, davon künden die vielen Aktenordner in seinem Keller und der Swimmingpool, in den das Orchester – die tadellos aufspielende Basel Sinfonietta – versenkt ist. Konsequenterweise betritt der Dirigent Giuliano Betta, zuerst im weissen Bademantel, den Orchestergraben über eine Leiter, die in den Pool führt. Das Sprungbrett bietet Gelegenheit für einen dreimal (und damit zweimal zu viel) inszenierten Gag: Wie wäre es, wenn eine der Opernfiguren ins Orchester spränge?

Eine weitere Zutat des Regisseurs, der mit Jean-Marc Desbonnets auch für das technisch brillante Bühnenbild verantwortlich zeichnet, ist der stetig und unmotiviert wechselnde Bühnenhintergrund. Mal ist es ein idyllischer Bergsee, dann eine Felsenlandschaft; diese weicht einem Palmenstrand, um dann einem Wasserfall und schliesslich dem Sternenhimmel Platz zu machen. Nur das Chalet bleibt unverändert.

Don Pasquale ist ein Hagestolz wie aus dem Bilderbuch, und das langjährige Ensemblemitglied Andrew Murphy verleiht dieser so unheldenhaften Titelgestalt komödiantisches Profil und sängerisches Format. Stets ist seine Brust ein bisschen zu geschwellt, fast immer klingt seine nicht wirklich grosse Stimme leicht angestrengt. Ganz so eben, wie man sich einen aufgeblasenen, seine Potenz überschätzenden Alten vorstellt.

Mehr stimmliche Substanz und ein breiteres Farbenspektrum weist der Doktor Malatesta des glänzenden Veroneser Baritons Gianfranco Montresor auf. In seiner roten Samtjacke und dem schwarzen Umhang ist er ein wahrhafter Bruder Mephistos. Kleine Frage am Rande: Wann wehrt sich wohl die Ärzteschaft dagegen, dass sie in so vielen Theaterstücken und Opern ebenso wie die Anwälte immer als geldgierig und verschlagen dargestellt wird?

Noel Hernández sang in der Premiere am Freitag die Tenorpartie des Ernesto – farblich noch nicht sehr nuanciert, aber absolut kontrolliert und intonatorisch sauber bis ins hohe Des, das er am Schluss seiner Arie zu Beginn des zweiten Akts erklomm. Eine Glanz­besetzung ist auch die Norina der in Zürich aufgewachsenen Sopranistin Deborah Leonetti, die nicht nur apart aussieht, sondern lupenreine Koloraturen hinlegte und den Ensembles die Klangkrone aufsetzte. Wieso sie ihre Auftrittsarie als Kellnerin kostümiert, aber wie eine Konzertsängerin mit Noten in der Hand absolviert, bleibt ein Geheimnis der Regie. Der Theaterchor mitsamt Statisterie hatte zwei kleinere Einsätze, die er mit Anstand bewältigte.

Es wird viel und virtuos an der Rampe geplappert. Kurzweilig ist die Produktion allemal, es gibt hie und da eine hübsche Idee wie den Solotrompeter als traurigen Zirkusclown, aber das meiste ist so folgenlos wie der Swimmingpool des Don Pasquale.

Unterhaltung ohne Risiko

Man hat gerade an diesem Haus schon konsequentere und poetischere Produktionen von Belcanto-Opern gesehen, wie etwa Claus Guths Inszenierung von Rossinis «Barbiere di ­Siviglia». Das ist allerdings schon eine Weile her.

Das Theater Basel peilt mit «Don Pasquale» ein Publikum an, dem sogenannte moderne Inszenierungen zu verkopft sind und das sich nur kultiviert amüsieren will. Ob der Sinn dieses hoch subventionierten Staatstheaters darin liegen kann, mit privat finanzierten Festivals wie dem Opernfestival St. Moritz und Basel (Volkshaus) gleichzuziehen, darf bezweifelt werden. Irgendwie ist das die falsche Liga.

Massimo Rocchi, der mit seiner Inszenierung keinerlei künstlerisches Risiko einging, trat zum Schlussapplaus mit seinem Hund auf die Bühne (wer würde schon einen Hund ausbuhen?), fiel theatralisch vor seinem Ensemble auf die Knie und streckte dem Publikum kurz die Zunge raus. Dieser Mann versteht es wirklich, kein Fettnäpfchen auszulassen.