Holländer im Kontor

Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (11.12.2012)

Der fliegende Holländer, 09.12.2012, Zürich

Ein «Holländer» auf hohem musikalischem Niveau, aber ohne Ecken und Kanten servierte das Opernhaus Zürich.

Nein, eine Erlösung durch Senta gibt es in der Zürcher Inszenierung des «Fliegenden Holländer» nicht, gespielt wurde die Erstfassung ohne Erlösungsmotiv. Das war aber die einzige Überraschung des Abends, so man überhaupt davon sprechen kann, denn der Einstand des neuen Hausherrn Andreas Homoki als Regisseur verlief in bieder-konventionellen Bahnen – was nicht heissen soll, dass diese schlecht sind. Aber das eigentliche Highlight war die musikalische Interpretation von Alain Altinoglu, so luzide, sprechend und differenziert hört man Wagners knalliges Werk selten.

Überragender Bryn Terfel

Nicht die Gestade Sandwikes bildeten den Ort des Geschehens, sondern ein Kontor, piekfein getäfert, in der Mitte ein Holzturm mit einer Karte Afrikas, auf der mit Pfeilen der Standort der einzelnen Handelsschiffe eingezeichnet ist (Bühne Wolfgang Gussmann). Daland ist ein habgieriger Reeder, der nach immer mehr Gold verlangt und seine Büroangestellten samt «Steuermann» (Fabio Trümpy) zur Gewinnoptimierung antreibt. Dies setzt er auch sängerisch um, so dass selbst die durchschlagskräftige Stimme Matti Salminens an Grenzen stösst.

In die merkantile Welt, in der auch Senta schon mal zu Beginn suchend umhergeistert, bricht der Holländer als romantische Figur ein. Und schon bald wird klar, dieser Holländer ist reine Phantasie, Projektion von Menschen in einer Welt, die nur nach Diesseitigem schreit. So klug die diesseitige Welt optisch gezeichnet wird, so mager erscheint die Traumwelt. Wenn da nicht der überragende Bryn Terfel als Holländer wäre, mit markanter Bühnenpräsenz und einem derart differenzierten, vom feinsten lyrischen Pianissimo bis zum mächtigen Fortissimo reichenden Singen bei glasklarer Diktion, dass einem schon fast schwindelig wurde.

Kammermusikalisch licht

Die plastische Authentizität war allerdings nur möglich, weil mit Alain Altinoglu ein junger Dirigent vom Feinsten am Pult der agilen Philharmonia Zürich stand. Die Musik war keine Kraftmeierei, sondern zeitweise geradezu kammermusikalisch licht, klangfarbenreich und durchaus dem intimeren Rahmen des Handlungsortes angepasst – was auch für den exzellenten Chor gilt (Einstudierung Jürg Hämmerli). So konnte das unverhoffte Auftauchen und Verschwinden des Holländers plausibel umgesetzt werden und Sentas Changieren zwischen den Welten ablaufen. Anja Kampe gestaltete ihre Rolle musikalisch fast zu dramatisch, aber mit leuchtenden Spitzentönen und energischer Verve.

Dem hatte auch der verzweifelte Erik, von langer Statur in schnittig grünen Jägerklamotten, nichts entgegenzusetzen. Schade, dass Marko Jentzsch (wie angekündigt) etwas indisponiert war, sein heller, eher lyrischer Tenor passte ausgezeichnet in die differenzierte musikalische Lesart Altinoglus.