Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (25.01.2010)
Francis Poulencs Klosterdrama «Les Dialogues des Carmélites» brachte Bernd Mottl am Samstag auf die Berner Opernbühne. Und scheiterte trotz handwerklicher Bravour an der Idee, das Stück in heutige Verhältnisse zu transportieren.
Mit enervierender Unerbittlichkeit senkt sich das Fallbeil der Guillotine: 16 Mal reibt Eisen auf Eisen, gefolgt vom dumpfen Schlag der Pauke, immer leiser wird der Gesang der Karmeliterinnen, bis die letzte Stimme des Salve Regina verstummt. Diesen Schluss meinte Francis Poulenc todernst, als er 1947 bis 1957 an seiner letzten und grössten Oper schrieb, die auf historischen Ereignissen während der Französischen Revolution basiert und im Geist des «renouveau catholique» entstand.
Vor einem Jahr in Basel machte Benedikt von Peter daraus eine Hollywood-Szene, jetzt in Bern traute auch Bernd Mottl dem Stück nicht: Die Schlussszene seiner in die heutige Zeit transferierten Inszenierung mutet an wie «Zehn kleine Negerlein». Jedes Mal, wenn das Fallbeil fällt, zieht sich eine der 16 Nonnen die Schuhe aus und fällt buchstäblich aus der Rolle: Ein paar Dehnungsübungen, ein kleines Scherzwort zur Kollegin, erschöpftes Niedersinken, wo gerade Platz ist, womit das Schlussbild mit den 16 Paar Schuhen, das an sich eindrücklich hätte sein können, auch noch verdeckt wird. Aus irgendeinem Grund leuchten kurz Scheinwerfer von hinten, Poulencs Musik verklingt, Schluss. Dass sich da - zentralstes Element der Geschichte - Blanche in letzter Minute ihren Mitschwestern anschliesst und aufs Schafott steigt, geht völlig unter.
Massaker bei der Topfkollekte?
Abgesehen davon, dass Mottl natürlich grösste Schwierigkeiten hat, die Mechanik der Revolution und ihrer Tribunale im hektischen Rahmen des Weihnachtsschlussverkaufs unserer Konsumgesellschaft plausibel zu machen (Wann war schon wieder das letzte Massaker bei einer Heilsarmee-Topfkollekte?), schafft es die Aktualisierung nicht, uns das Drama in irgendeiner Weise näher zu bringen
Da hilft auch das Bühnenbild von Alain Rappaport - der Berg Karmel mit Assoziationen an Pilgergrotten, Seilbahngipfel und Toteninseln - nicht weiter. Im letzten Akt wird der Berg demontiert, die Sperrkolzkulissen stehen verdreht auf der Drehbühne.
Theater auseinander zu nehmen kann spannend sein, hier aber hat es definitiv nicht funktioniert. Immerhin beweist Mottl in vielen Szenen ein ideenreiches und ausgefeiltes Regie-Handwerk. Hinreissend, wie er etwa die sterbenskranke Priorin mit einer ungeahnt eindrücklich spielenden Ursula Füri-Bernhard in ihrer ganzen Verwirrung und Verzweiflung zeichnet oder wie er mit wenigen Gesten die Beziehungen der Frauen untereinander illustriert. Sehr aufmerksam gestaltet er auch die komödiantischen Momente, vielleicht wäre das überhaupt eher Mottls Metier.
Wenig differenziertes Orchester
Poulencs farbige, stilistisch breit gefächerte Musik erträgt einiges an plakativer Flächigkeit. In dieser Beziehung liess Srboljub Dinic an der Spitze des Berner Sinfonieorchesters nichts anbrennen und schöpfte üppige Klanglichkeit aus dem Vollen. Aber sie würde durch kammermusikalische Präzision und die Delikatesse sensibel austarierter Klangmischungen noch viel gewinnen. Dafür haben weder Dinic noch die Orchestermusiker allzu viel Gehör. Wenn Hélène Le Corre als Constance oder die sängerisch überragende Rachel Harnisch als Blanche leisere, schattiertere Töne anschlagen, gehen sie viel zu schnell unter im wenig differenzierten Orchester. Andere Stimmen im gut besetzten und in der Regel sattelfesten Berner Ensemble versuchen sich erst gar nicht in Zwischentönen, sondern lassen strömen, was ihre Stimmen hergeben. Dabei wirkt Claude Eichenberger als Mère Marie runder und kompakter als Fabienne Jost als neue Priorin Lidoine.