Alfred Zimmerlin, Neue Zürcher Zeitung (12.01.2010)
Henry Purcells Barockoper «Dido and Aeneas» als Puppentheater
Das Liebesdrama um die Karthagerkönigin Dido und den Troer Aeneas, der von den Göttern nach Italien kommandiert worden und in Karthago zwischengelandet ist, hat in unserem Zeitalter des flexiblen, globalen Menschen Aktualität. Auch die Zauberin und die Geister, die in Henry Purcells nach einem Libretto des englischen Hofdichters Nahum Tate verfasster Barockoper «Dido and Aeneas» zerstörerisch agieren, mögen stellvertretend stehen für das Netz der Zwänge, in welchem der flexible Mensch gefangen ist. Aeneas geht den Weg des empfindsamen, etwas narzisstischen Helden, Dido zerbricht an ihrem Schicksal und stirbt den Liebestod. So lässt sich das Drama heute durchaus verstehen, und es berührt – vor allem, wenn Purcells grandiose Musik so grossen Raum erhält und in ihrem musikdramatischen Potenzial so ausgelotet wird wie in der Produktion der auf historischen Instrumenten spielenden Berner Freitagsakademie und des Puppenspielers und Regisseurs Neville Tranter.
Schon vor drei Jahren haben die Freitagsakademie und Tranter für Händels «Acis und Galathea» erfolgreich zusammengearbeitet. Nun kam «Dido and Aeneas» als Koproduktion mit dem Stadttheater Bern und dem Theater Ticino Wädenswil in Bern zur Premiere. Das Besondere an Tranters Puppen ist ihre Abstraktionskraft. Lebensgrosse Köpfe mit Klappmäulern und übergrosse Hände werden von Tranter und den sechs schwarzgekleideten Sängerinnen und Sängern geführt, deren Bewegung und Mimik eine wichtige Rolle spielen. Ein Bühnenbild gibt es nicht, einziges Accessoire ist eine weisse Rose. So wird das Theater multiperspektivisch und schafft gleichzeitig durch Abstraktion die Distanz, welche von der Identifikation mit den Figuren weg- und mitten in die Musik hineinführt. Man ist im Theater und hört mehr Musikdrama denn je.
Und dieses ist schlicht betörend. Unter der Leitung des Cembalisten Jörg-Andreas Bötticher strahlt die Freitagsakademie Frische und Lebendigkeit sondergleichen aus. Eine präludierende Suite in g-Moll von Purcell führt in die Stimmung des Werkes hinein. Wo die Dramaturgie ein Nachdoppeln erfordert, wird ganz im Geist des Barock über einem «Ground», einem Bass-Ostinato, improvisiert. Ein Donnerblech unterstützt die stürmischen Hexenszenen. Die reichen Farben und heftigen Gemütsbewegungen, welche die Sopranistin Susanne Rydén Dido gibt, sind exquisit. (Waren die Intonationstrübungen an der Premiere auf die akustischen Verhältnisse zurückzuführen?) Glockenklar und biegsam singt Ulrike Hofbauer als Didos Vertraute Belinda, Georg Poplutz gibt einen ausdrucksstarken Aeneas. Vorzüglich die Altistin Anne Schmid als Zauberin, markig der Bass von René Perler als Geist, fein der Tenor von Jakob Pilgram (Sailor). Als ausgezeichnetes Ensemble sangen die sechs je nach Bedarf auch die Chöre.