Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (24.11.2009)
«Il Corsaro» gilt als eine der misslungensten Opern von Giuseppe Verdi. Argumente dafür gibt es, aber auch ein paar dagegen, wie das Opernhaus Zürich bei der Premiere am Sonntag zeigte.
Manche Bühnenbilder erhalten spontan Szenenapplaus. Der Wasser-Spiegel-Zauber, den der Regisseur Damiano Michieletto und der Bühnenbildner Paolo Fantin im Zürcher Opernhaus für Giuseppe Verdis «Corsaro» am Sonntag auf die Bühne stellten, musste sich bis zum Schluss gedulden. Da aber war die Begeisterung des Premierenpublikums für die atmosphärisch dichten Bilder umso herzlicher. Und zweifellos verdient: Denn zu unausgegoren ist die Geschichte um den dunkel leidenden Piraten.
Lord Byrons Versroman «The Corsair» ist im Libretto von Piave derart unbrauchbar für eine rein erzählerische, geschweige denn psychologisch verdichtete Inszenierung, dass die Flucht nach vorne, in den schönen Schein ästhetischer Farben-, Licht-, Wasser- und Spiegelbilder zu einem herausragenden Ergebnis führte. Vor allem, weil handwerklich bis hin zur Lichtführung sauber gearbeitet wurde: Die ganze Bühne ist ein Bassin, überwölbt und umgeben von spiegelnden Wänden. Wie verlorene Inseln gleiten darin das Bett von Medora oder das Piratenschiff von Corrado umher. Wenn sie sich treffen, gibts ein Duett, sonst ist dieser Reigen eine schöne Chiffre für die Einsamkeit des Liebespaars.
Ein Schreibtisch als Schiff
Der Korsar wird von Michieletto quasi als Alter Ego von Lord Byron gezeichnet, sein Schiff ist ein Schreibtisch, seine Notizen treiben im Wasser. Schon da ist angedeutet, dass dieser Held, der sich nicht einmal aus dem Kerker retten lassen will, kein James Bond ist, sondern eine verlorene romantische Seele, die nicht nur den Eindruck hat, an allem Unglück schuld zu sein, sondern es am Ende auch tatsächlich wird. Das Wasser, um sich zu ertränken, ist nicht weit. Die Geliebte ist schon tot, zuvor trieb der ermordete Pascha als Wasserleiche vorbei - bleibt als starke Figur nur die ehemalige Sklavin Gulnara. Und der traut man ohne den geringsten Zweifel zu, dass sie ihr Schicksal in die Hand nehmen wird. Vor allem, weil die junge Carmen Giannattasio, die zum ersten Mal auf den Zürcher Brettern stand, eine formidable Premiere sang. Leichtigkeit, Beweglichkeit, Intonationssicherheit und Strahlkraft verband die Italienerin mit einer engagierten, körperbewussten Darstellung ihrer Figur.
Noch eine Portion spielfreudiger zeigte sich der Tenor Vittorio Grigolo in der Titelrolle, der in kurzer Zeit zum Zürcher Publikumsliebling avancierte. Dass er haushälterisch mit seinen Kräften umgehen würde, kann man nicht behaupten, aber seine ungestüme, temperamentvolle Art, die durchaus auch die stimmlich feinen Nuancen ausnutzt, sein Charme und seine beneidenswerte Strahlkraft, die er sehr gerne demonstriert, machen ihn unwiderstehlich. Damit triumphierte er auch mühelos über den oft recht lauten Orchesterklang, den der junge Norweger Eivind Gullberg Jensen manchmal recht pauschal aus dem Graben klingen liess. Natürlich ist die Partitur so angelegt. Raffinesse in der Orchestrierungskunst sucht man vergebens, da und dort ein einsames Bläsersolo und eine bemerkenswert schöne Bratschen-Cello-Kantilene zu Beginn der Kerkerszene sind diesbezüglich schon das höchste der Gefühle in Verdis Oper aus der Phase der «Galeerenjahre». Sonst richtet er mit voller Kelle Brio und knallige Chorfinali an. Da jedenfalls liess der junge Norweger nichts anbrennen: Temperament und Drive hatte sein Dirigat.
Die Probleme der Altgedienten
Es war auch ein Sieg der Jugend über die Erfahrung und Routine: Juan Pons als Türken-Pascha vermochte nur ansatzweise an seine grosse Bariton-Vergangenheit anzuknüpfen. Sehr schnell klang seine Stimme einfarbig und müde. Stimmliche Probleme kannte Elena Mosuc als Medora zwar keine. Aber ihre stereotypen Sängergesten konnte auch Michieletto ihr nicht austreiben, und sängerisch verlor sie sich vor allem gegen Ende ihrer grossen Auftrittsarie in Manierismen, die nichts mehr mit der Figur, der aktuellen Szene oder dem Geschehen im Orchester zu tun hatten. Ein Egotrip, zu dem das schwimmende Bett als einsame Insel auf unerwartete Art sehr gut passte.