Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (11.09.2006)
Nello Santi, Publikumsliebling am Zürcher Opernhaus, feiert seinen 75. Geburtstag. Dafür wählte er die heiteren Einakter «Il segreto di Susanna» von Wolf-Ferrari und Puccinis «Gianni Schicchi».
Auf der Bühne stand - wie es sich für einen bambinibegeisterten Italiener gehört - seine Tochter, die Sopranistin Adriana Marfisi in der weiblichen Hauptrolle. An der Premiere vom Samstag wurde Santi denn auch gebührend gefeiert.
«Italianità» - ich erinnere mich gut daran, wie ich dieses Wort erstmals in einer Rezension schrieb. Nello Santi dirigierte Verdi einfach anders als andere: Weniger auf Brillanz und Präzision bedacht, sondern mit Herzenswärme, mit leidenschaftlicher Glut und sprechender Agilität. Sein Sinn fürs Vokale, für ein Orchester, das den Sängerinnen und Sängern mitatmend zudient, ermöglichte ihm echte Hingabe.
Dazu kommt seine bedächtig-gemütliche, nur schwerfällig sich bewegende Gestalt: Santi ist kein Kostverächter, er geniesst das Leben und strahlt Zufriedenheit aus. Auf diese seine unverkennbare Art hat Santi ein halbes Jahrhundert lang die Spielzeiten am Zürcher Opernhaus geprägt. Grazie, Maestro!
Banale Geschichte, reizvolle Musik
In Ermanno Wolf-Ferraris Einakter «Il segreto di Susanna» geht es denn auch nur um ein kleines Laster. Susanna, die gerade den Grafen Gil geheiratet hat, langweilt sich und vertreibt sich deshalb die Zeit mit Rauchen. Der Graf weiss nichts davon, doch natürlich riecht er es. Und er schliesst daraus, dass seine Gattin einen rauchenden Liebhaber hat - er rast vor Eifersucht.
Paolo Rumetz vermochte dieser tölpischen Bariton-Partie stimmlich und szenisch ein Optimum abzugewinnen. Als er seine Gattin in flagranti erwischt, aber keinen Liebhaber findet, fliegt das Laster auf. Der Graf ist erleichtert und raucht mit ihr eine mit.
So leichtfüssig banal dieses Geschichtchen ist - die Musik hat durchaus ihren Reiz. Das Credo von Wolf-Ferrari (1876-1948), der halb Italiener, halb Deutscher war, lautete eben, den von Kummer gebeugten Menschen mit seiner Musik Freude zu ermöglichen, sie aufzuheitern.
Dies tat er mit einiger Phantasie. Zum Beispiel mit raffiniertem Einsatz der Holzbläser, die mit kammermusikalischer Virtuosität den Beginn dieses Intermezzos prägen. Da zeigten sich an der Premiere auch die ersten Koordinationsprobleme im Orchester.
Oder dann die herrliche Szene, in der Susanna beglückt ihre Zigarette geniesst. Da beginnt's in der Musik zu schweben, ja zu halluzinieren. Die Rauchwölkchen werden akustisch gemimt und aufgelöst, das Abheben der jungen Frau ist harmonisch raffiniert komponiert. Adriana Marfisi, die zu Beginn noch sehr nervös wirkte, sang diese Stelle erstaunlich gelassen. In der Mittellage schien sie sich jedenfalls deutlich wohler zu fühlen als in der Höhe.
Ihre enge, weit hinten angesetzte und eher kleine Stimme wirkte sonst gerne spröde und metallig. Es war für sie nicht leicht, in diesem hochkarätigen Zürcher Ensemble mitzuhalten - das ist einfach nicht ihre Liga.
Auch Giacomo Puccini ist natürlich ein anderes Kaliber als Wolf-Ferrari. Sein «Gianni Schicchi» ist in verschiedener Hinsicht ein Bravourstück. Das eine ist die Thematik, handelt es sich doch um eine komödiantische Erbschleicherei. Dazu gehören sympathische kleine Gauner, echte Figuren, die nicht, wie bei Wolf-Ferrari, ein künstliches Drama erzeugen. Leo Nucci jedenfalls konnte in der Hauptpartie so richtig aufblühen, und Nello Santi blühte mit.
Die Regie von Grischa Asagaroff und die Ausstattung von Luigi Perego betonten denn auch vor allem die verschiedenen Charakteren in einem ästhetischen und doch funktionalen Dekor.
Die Geschichte dreht sich um das Testament des verstorbenen Buoso Donati. Er hat seinen ganzen Reichtum einem Kloster vermacht. Die pseudotrauernde Verwandtschaft ist natürlich schockiert. Doch der schlaue Gianni Schicchi weiss Rat. Vom Tode Buosos weiss noch niemand sonst. Deshalb legt er sich verkleidet ins Bett, lässt den Notar kommen und diktiert ihm ein neues Testament. Und die Verwandten müssen erbost mit anhören, wie er das Haus und die Mühlen - die interessantesten Dinge - sich selber vermacht.
«O mio babbino caro»
Das Zürcher Ensemble konnte sich in dieser «Verwandtschaft» so richtig ausleben. Es gelang Sängerpersönlichkeiten wie Cornelia Kallisch, Stefania Kaluza, Margaret Chalker, Peter Keller, Giuseppe Scorsin und anderen, ihren Charakter auch im musikalischen Ensemble brillant auszuspielen.
Eindrücklich war zudem die echte Leidenschaft von Fabio Sartori in der Rolle des Rinuccio, der freudig erregt in seine Lauretta, die Tochter von Schicchi, verliebt ist. Und als Lauretta holte sich auch Adriana Marfisi mit der berühmten Arie «O mio babbino caro» («O, liebes Väterchen») einen verdienten Szenenapplaus. Das Orchester zog dank Santis souveräner Übersicht alle Register und verhalf so der vielschichtig vitalen Musik von Puccini zu grosser Wirkung.