Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (28.11.2006)
Am Sonntag wurde im Opernhaus Zürich erstmals «L'Étoile» von Chabrier aufgeführt. Ein heiterer Abend unter der Leitung von John Eliot Gardiner, an dem jedoch mehr gesprochen als gesungen wird.
Der Dirigent John Eliot Gardiner ist ein vehementer Verfechter von Emmanuel Chabriers (1841-1894) eigenwillig leichtfüssiger Musik. Dessen vergessene Opéra-bouffe «L'Étoile» hat er bereits auf CD eingespielt, nun ist sie unter seiner Leitung in einer luxuriösen Ausstattung von David Pountney am Opernhaus Zürich zu erleben.
Chabrier war ein Original, ein genial begabter Musiker, ein begnadeter Improvisator am Klavier und ein Komponist ohne Meister-Rückhalt. Er vermied es geflissentlich, sich in Paris irgend einer Schule anzuschliessen. Und auch wenn er ein glühender Wagner-Verehrer war, ein Wagner-Epigone war er nie. Als geselliger Mensch amüsierte sich Chabrier gerne, und er kommentierte seine Umwelt mit scharfem Verstand und einer gesunden Portion Selbstironie. Dieser leichtfüssig heitere, manchmal pointiert ironische «Ésprit» kam an der hochkarätig besetzten Zürcher Premiere von «L'Étoile» brillant zur Geltung.
Sprachwitz dominiert
Das Geschichtchen dreht sich um einen tollpatschigen König, der immer zu seinem Geburtstag ein Volksfest feiert, an dem er der schaulustigen Menge eine Hinrichtung präsentiert. Dummerweise sind nun aber alle Gefängnisse leer, und weit und breit ist kein Gauner in Sicht. Zufällig begegnet er Lazuli, der unsterblich in die Prinzessin Laoula verliebt ist, und wird von diesem inkognito geohrfeigt. Ein Grund, ihn zum Tode zu verurteilen. Doch in letzter Sekunde interveniert der Hofastrologe, hängt doch der Stern des Königs mit demjenigen Lazulis zusammen. Stirbt Lazuli, muss auch der König sterben. Aus dieser Konstellation entwickelt sich eine amüsante Geschichte um willkürliche Macht, schicksalshafte Abhängigkeit, geilen Frauen-Verschleiss und echte Liebe.
Die Opéra-bouffe «L'Étoile» lebt von ihrem witzigen Libretto, von vielen sprachlichen Pointen. Deshalb drängte sich eine Besetzung mit Sängerinnen und Sängern aus dem französischsprachigen Raum auf. Im Zentrum steht die Figur «Le Roi Ouf», dem der Tenor Jean-Luc Viala einen herrlich komischen, liebenswürdig verspielten Charakter verleiht. Er spricht seine vielen Dialoge mit treffsicheren Pointen und schauspielerischer Spielfertigkeit, doch sängerisch kommt er in dieser Partitur kaum zum Zug. Auch sein Dialog-Partner, der Astrologe Siroco, wird von Jean-Philippe Lafont mehr gespielt als gesungen. Bei solchen Dialogen kommt die Übersetzung ins Schwitzen - die indirekten Inhaltsangaben, die man auf Deutsch lesen konnte, wirkten da ziemlich hilflos.
Musikalisch hat diese Sprachbezogenheit eine rhythmisch hochvirtuose Partitur zur Folge, die klanglich eher karg instrumentiert ist. Immer wieder werden Bläser solistisch bedacht, von den Streichern wird vor allem Agilität und Tempo gefordert. John Eliot Gardiner vermochte das Opernhaus-Orchester auf Trab zu halten, die Leichtfüssigkeit wurde auch bei offensichtlichen dramaturgischen Längen von Chabrier aufrechterhalten. Koordinationsprobleme gab es vor allem mit dem stark agierenden Chor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger), der sich aber im Laufe des Abends trotz anspruchsvoller Choreografie an die komplexe Rhythmik zu gewöhnen schien. Musikalisch konzentriert sich alles auf den «Étoile», auf den Stern Lazuli. Die aus Freiburg stammende Schweizer Mezzo-Sopranistin Marie-Claude Chappuis wirkte in dieser Hosen-Hauptrolle mit ihrer weichen, warmen Barock-Stimme anfangs noch etwas verhalten, steigerte sich aber nach der Pause in eine stimmlich facettenreiche Partie, in der sie mit quirliger szenischer Darstellung einen authentisch warmherzigen Liebhaber gestaltete. Die Sopranistin Anne-Catherine Gillet war ihr als leichtlebige Prinzessin Laoula eine technisch wie musikalisch eindrücklich stilsichere Partnerin.
Ausstattung ohne Spardruck
Die französische Luxus-Dekadenz, in der sich diese hübsche Geschichte abspielt, wird von David Pountney und seinem Bühnenbildner Johan Engels samt den Kostümen von Marie-Jeanne Lecca aufwändig zelebriert. Im Interieur des Königspalastes werden Luxus-Autos und Rennkamele präsentiert, mitsamt den sexy Girls, die sich darauf tummeln. Der König erscheint in goldenen Sportklamotten, und der Chor mimt einen arabischen Ölscheich-Tross, mit dunklen Sonnenbrillen und Schleiern für die Damen. Und mitten in diesem edlen Palastraum sorgt eine dominante Stern-Lichtkugel für astrologische Effekte.
So aufwändig und teuer diese Ausstattung auch ist, die Sängerinnen und Sänger tummeln sich in dieser überspitzten Luxuswelt mit ansteckendem Humor. So kommt es immer wieder zu herrlich geistreich inszenierten und choreografierten Szenen (Choreografie: Beate Vollack). Etwa in dem Moment, als Lazuli auf einem übergrossen Thron guillotiniert werden soll und dies akrobatisch zu verhindern weiss, oder beim Trauermarsch, in welchem die vermeintliche Leiche des Lazuli auf der Tragbare hin- und hergeschleudert wird.
So lebt diese neu ausgegrabene «Étoile»-Produktion von Spielwitz, schauspielerischem Können und einer temperamentvollen Choreografie, was aber über die musikalischen Mängel und dramaturgischen Längen dieser Partitur von Chabrier nicht hinwegzutäuschen vermag. Da besticht Jacques Offenbach bei aller Leichtigkeit des Seins mit mehr gesellschaftskritischem Biss und tragfähigeren musikalischen Einfällen.